Der 11. März – Ein Jahrestag.

| 11. März 2013 | 0 Kommentare

Heute ist der 11. März 2013. In Japan ist es 22:55 Uhr, wenn ich beginne, diesen Post zu schreiben. Und damit ist er beinahe schon vorbei – der zweite Jahrestag des großen Erdbebens. Der Tsunamikatastrophe. Und nicht zuletzt des verheerenden Reaktorunglücks.

Die ganzen letzten Tage habe ich mich schon gefragt, wie die Japaner mit diesem Tag wohl umgehen werden. Meine Vermutung war, dass nicht erwähnenswert darauf eingegangen wird, da in Japan Disziplin ein sehr wichtiger Charakterzug ist und Gefühle nicht offen zur Schau getragen werden.

Heute Morgen hatte ich dieses besondere Datum aber irgendwie gar nicht mehr präsent. Ich saß am Vormittag mit einem amerikanischen Mitbewohner im Wohnzimmer und der Manager unseres guest house wirbelte schon den ganzen Tag hier herum. Irgendwann kam er zur Ruhe, setzte sich zu uns und sagte zwei Worte: „11. März.“ Seine Stimme war ruhig, aber man merkte, dass ihm etwas auf dem Herzen lag. Wie könnte es das auch nicht. Er begann langsam zu erzählen. Von dem Erdbeben allgemein, wie es in Tokyo war, und wie er die Katastrophe selbst erlebt hat. Er war heute vor zwei Jahren, gegen 14:46 Uhr, im Zug unterwegs gewesen. Plötzlich gab es eine Vollbremsung, die Leute fielen übereinander, der Zug stand. Und wackelte. Der Blick nach draußen zeigte stark schwankende Gebäude, die sonst felsenfest zu sein schienen. Man wusste, da stimmte etwas nicht. Dieses Erdbeben war anders. Kurzes Schweigen. Dann ein breites Grinsen unseres Managers, mit dem dieser Gefühlsausbruch wohl entschuldigt werden sollte.

Ein japanischer Mitbewohner hat mir auf seinem Handy ein Video gezeigt. Er war auf der Straße, als das Erdbeben Tokyo erschütterte, und hat geistesgegenwärtig die Umgebung gefilmt. Die Bäume und Häuser schwankten zu stark. Strommasten schienen kurz vor dem Umknicken zu sein. Dieses Erdbeben war anders. Als das Video zu Ende war, grinste er micht entschuldigend an.

Um 13 Uhr begann, wie jeden Tag, mein Unterricht. Die Lehrerin begrüßte uns, wie jeden Tag, und stieg in die Kanjiwiederholung ein. Wie jeden Tag. Unter anderem hatten wir am Freitag die Schreibung von „U-Bahn“ gelernt: „chikatetsu“ – 地下鉄. Wie immer zeigte uns unsere Lehrerin noch weitere Kombinationen mit diesen Zeichen. Bei 地震 stockte sie – „jishin“. Erdbeben. Sie hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne, drehte sich zu uns um und fragte, ob wir wüssten, was für ein Tag heute sei. Natürlich. Und sie begann zu erzählen. Wie wir wüssten, lebe sie in Yokohama. Direkt am Meer. Das Beben, der Tsunami…gruselig. Sie hätte Angst gehabt. Dieses Erdbeben war anders. Glücklicherweise hätte ihr Haus keinen Schaden genommen. Bei anderen hätte das anders ausgesehen. Heute Morgen hätte sie eine Schweigeminute eingelegt und gebetet. Für die rund 16.000 Todesopfer. Für die 2.700 Menschen, die immer noch vermisst werden. Für die 315.000 Menschen, die noch immer nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Schweigen. Ein starrer Blick ins Leere. Dann ein freundliches Lächeln und das nächste Kanji. Nur gegen 14:46 Uhr wanderte ihr Blick noch einmal zur Uhr an der Wand.

Eine Mitbewohnerin aus der Schweiz erzählte später, wie sie den Tag vor zwei Jahren erlebt hatte. Sie hatte eine Freundin zu Besuch gehabt und sei gerade mit ihr auf dem Weg zum Bahnhof gewesen. Plötzlich bebte die Erde, Häuser schwankten und sie waren froh, gerade einen Spielplatz zu passieren, da sie auf dieser einigermaßen freien Fläche sicherer waren als zwischen den erschütterten Gebäuden. Zum Bahnhof seien sie an diesem Tag nicht mehr gekommen. Dieses Erdbeben war anders.

Im Fernsehen sah ich abends eine Dokumentation über das Unglück und die Folgen bis heute. Auch wenn ich nicht viel verstanden habe, war die gedrückte Stimmung trotz der professionellen Berichterstattung nicht zu übersehen. Es gab aber auch einen Lichtblick: ein Beitrag über ein kleines Mädchen, das ziemlich genau zur Katastrope in Fukushima geboren wurde. Heute lachte die Zweijährige glücklich in die Kamera.

Um 14:46 Uhr, genau zu der Zeit, zu der vor zwei Jahren ein Erdbeben der Stärke 9,0 das Land heimgesucht hat, fand heute in den Katastrophengebieten eine Schweigeminute statt. Das Hauptzentrum der Gedenkzeremonie, an der auch Akihito teilnahm, war in Tokyo.

Das Thema ist also auch zwei Jahre nach dem Unglück noch präsent und brisant – auch im sonst so disziplinierten Japan, in dem man alles dafür tut, seine Emotionen für sich zu behalten.

Ironischerweise wackelt in dem Moment, in dem ich diesen Beitrag beende, die Erde. Mittlerweile ist es 24:01 Uhr. Ein ganz normaler Tag.

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Kategorie: Allgemein, Katharinas Reiseblog

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Kommentare (0)

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  1. Dominik sagt:

    Etwas spät 😀 Aber dennoch vielen Dank für den interessanten Bericht. Mich hat schon vorher interessiert, wie die Japaner damit umgehen und ich finde es toll, dass einige Leute mir dir/euch darüber relativ offen gesprochen haben.

    • Katharina sagt:

      Hey, danke für deinen Kommentar! Ich fand es auch großartig, bei einigen Japanern quasi „hinter die Fassade“ blicken zu können, das war wirklich interessant. Auch der plötzliche Umschwang in die „Emotionslosigkeit“, um es mal so zu nennen, war einfach krass.
      Freut mich, dass dir der Beitrag gefallen hat!

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