Japan und Worüber wundert man sich hier eigentlich noch?
Wenn man etwas mehr Zeit in Japan verbringt, erscheinen einem Mädchen in bunten Kostümen, die über die Straße laufen, dröhnend laute Popmusik, die aus irgendwelchen Läden kommt und knallbunte kleine Dinge in den unmöglichsten Formen und zu den unmöglichsten Gebrauchszwecken auf einmal viel weniger absurd. Man beginnt diese Dinge hin zu nehmen, wird sozusagen für das Verrückte desensibilisiert und da stellt sich mir die Frage: Wie sehr werden wir eigentlich selbst zu einem Japaner, wenn wir hier sind?
Man fühlt sich immer unglaublich anders, manchmal zu klobig oder zu schroff, wenn man unter Japanern ist. Ich gebe zu, am Anfang habe ich mich ein bisschen wie eine Japanerin benommen. Oder eben mehr, wie ich mir eine Japanerin vorstellte. Ich bemühte mich stets aufrecht zu sitzen, benahm mich möglichst so, dass ich das Gefühl hatte, dass meine Anwesenheit für andere angenehm ist. Alles Quatsch, finde ich, denn die Japaner mögen einen auch so, oder gerade so, wie man ist. Das habe ich also ganz schnell aufgegeben, denn es ist einfach nicht nötig. Das merkt man zum Glück schnell, wenn man viel mit anderen Ausländern zusammen ist, die sich auch normal benehmen und nicht die ganze Zeit kokettieren. Beobachte ich dieses „japanische“ Verhalten bei westlichen Mädchen, finde ich das immer etwas seltsam. Die meisten Ausländer hier gehen immer noch ihrem eigenen Stil nach und bleiben sich treu, was ich absolut richtig finde.
In gewisser Weise werden wir aber doch ein wenig „verjapanisiert“, denn uns erscheinen Dinge normal, die beispielsweise in Deutschland niemand normal finden würde. Ein gutes Beispiel ist das schlechte Gewissen, das man beim essen auf der Straße bekommt. Wenn ich genau darüber nachdenke finde ich es schwachsinnig nicht auf der Straße zu essen. Es gibt keinen guten Grund, aus dem ich das nicht tun sollte, trotzdem schäme ich mich hier irgendwie dafür.
Ein weiteres Indiz ist wohl auch, dass mir in diesem Moment gar nichts mehr anderes einfällt, dass ich hier seltsam finde. Ich merke nur, dass ich mich manchmal bemühen muss „verrückte“ Dinge zu finden und wirklich zu realisieren, dass das alles irgendwie nicht wie bei uns ist. Man lernt hier irgendwie die Dinge hinzunehmen, wie sie sind und auch das ist definitiv etwas Japanisches! Trotzdem sollte man seine Kritikfähigkeit nicht verlieren, in dem Sinne, dass man an verschiedenen Dingen hier auch Kritik üben sollte! So süß ein Hund im Bienenkostüm auch ist, mir persönlich gefällt er ohne immer noch etwas besser. Auch ein großer Labrador kriegt hier eine Schleife auf den Kopf gesetzt. Für mich ist so ein Hund kein Anziehpüppchen, sondern ein Tier, das man mit Respekt behandeln sollte. Genauso ist ein Affe kein Haustier für mich und ich finde es auch irgendwie nicht normal ein Kaninchen mit einer Leine mitten durch die Stadt zu führen. Wobei ich sagen muss, dass das Kaninchen nicht unbedingt unzufrieden oder verängstigt wirkte. Es hoppelte einfach ganz fröhlich zwischen all den Menschen über die Straßenkreuzung.
Generell muss ich sagen, dass ich hier noch nicht vieles gesehen habe, von dem ich dachte: Das muss man ändern. Bei manchen Dingen dachte ich lediglich, dass ich das so nicht machen würde.
Es tut immer ganz gut sich mit anderen Ausländern auszutauschen, denn dann tragen sich immer einige Dinge zusammen, die man vielleicht seltsam findet und so fallen einem auch immer wieder aufs Neue Dinge auf. Auch, wenn man sie vielleicht schon wieder vergessen hatte. Ich denke es ist wichtig diese Dinge im Auge zu behalten, denn wie kein Land auf der Erde, ist auch Japan nicht perfekt. Aufgrund dessen, dass Japan sich recht spät der westlichen Welt geöffnet hat, gibt es eben heute noch sehr große Unterschiede. In den letzten Jahren ist jedoch viel geschehen, das Land ist internationaler geworden und viel offener. Man interessiert sich für alles, das aus dem Westen kommt und man übernimmt auch gerne neue Dinge. Ebenso gibt es langsam einen gesellschaftlichen Umschwung. Das Frauenbild in Japan verändert sich. Frauen möchten nicht mehr nur hinter dem Herd stehen, sondern selber Karriere machen. Oft wünschen sie sich einen ausländischen Mann, da der mit diesem Wunsch besser umgehen und sie besser akzeptieren kann. Wir westlichen Frauen können es uns meist gar nicht vorstellen Hausfrau zu sein. Daher sieht man auch selten eine ausländische Frau mit einem japanischen Mann. Es scheint noch nicht allzu viele zu geben, die so eine Sichtweise der Frau akzeptieren können.
Hier unterscheiden wir uns wieder deutlich von den Japanern, wie auch eigentlich in vielen Dingen. Trotzdem jedoch merke ich, wie ich immer mehr einen Zugang zu den Menschen und der Kultur hier finde. Es ist so interessant mal über all die Dinge nachzudenken, die einem hier so wiederfahren und mal genau zu analysieren, was diese Andersartigkeit überhaupt ausmacht. Daher ist es wichtig hier nicht nur so vor sich hin zu leben, sondern die Augen offen zu halten nach dem Besonderen, nach dem, was Japan ausmacht und von uns unterscheidet. Denn genau um das zu erleben, sind wir doch eigentlich auch hier, oder?
Kategorie: Allgemein, Julies Reiseblog
Du schreibst wirklich unglaublich toll~