Kakerlakenprobleme und ein erstes Fazit über Tokyo
Gestern Nacht hörte ich Schreie aus der unteren Etage unseres Hauses. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht. Als die Schreie dann aber panischer und lauter wurden, war ich hellwach. Ich hörte jemanden die Treppe zu meinem Zimmer hinauf stolpern und plötzlich klopfte es. Etwas verunsichert öffnete ich die Tür und blickte in das zu einem gequälten Lächeln verzerrte Gesicht einer meiner Mitbewohnerinnen. „Kakerlaaaaaaaaake!“, brüllte sie mir entgegen, packte mich bei der Hand und rannte mit mir die Treppe hinunter. Unten wartete der Rest meiner Mitbewohner vor dem Flur, in den sich niemand mehr hinein traute, da dort das fiese Insekt gesichtet wurde. Eine Mitbewohnerin baute gerade eine im Convini gekaufte Kakerlakenfalle zusammen, die anderen standen wie angewurzelt da und schauten mich an. Alle redeten wild durcheinander und jeder versuchte die mittlerweile verschwundene Kakerlake zu entdecken. Keine Spur von dem Tier. Auf der anderen Seite des Flurs, in der Küche, befand sich eine weitere Mitbewohnerin, die sich nun auch nicht mehr hinaus traute. Gefangen in der Küche, wegen einer Kakerlake. Der Flur war nun Sperrzone. Ein großes Problem war, dass wir die Kakerlake aus den Augen verloren hatten. Somit konnte sie praktisch überall sein. Als die Falle bereit war, schauten mich alle mit großen Augen an. Ich? Na toll, von mir aus. Ich nahm also die Falle und begab mich vorsichtig in den Flur. Todesmutig ging ich bis in die Küche und stellte die Falle neben dem Kühlschrank auf. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass die Kakerlake sich über Nacht dort hinein begeben würde. Immerhin waren jetzt alle soweit beruhigt, dass wir wieder schlafen gehen konnten.
Das war also die erste Kakerlake des Jahres. Hier in Tokyo scheint das ein sehr verbreitetes Problem zu sein, denn so wirklich überrascht war niemand von dem Tier. Man muss dazu sagen, dass Kakerlaken hier in Japan ungefähr doppelt so groß sind, wie in Deutschland. Ich persönlich habe noch nie eine Kakerlake gesehen, daher weiß ich nicht in wie viel Schrecken mich diese Tiere versetzen können. Allerdings habe ich mir von meinen Mitbewohnern schon viele Horrorgeschichten über die kleinen (großen) Krabbler anhören dürfen. Ein alarmierendes Zirpen, etwas Dunkles huscht an dir vorbei und dann steht sie plötzlich vor dir – die Kakerlake, bereit zum Angriff! Die meisten haben eine irrsinnige Angst vor diesen Dingern. Ich persönlich erschrecke mich besonders vor Spinnen, wie ich auf eine Kakerlake in Größe einer Nagellack Flasche reagieren würde, weiß ich allerdings nicht. Besonders grausam klingen diese Tiere für mich bisher noch nicht. Ich musste jedoch auch noch nie mit ihnen zusammen leben. Möglicherweise bleibt mir dieses Kakerlakenproblem auch weites gehend erspart, da ich ja in zehn Tagen schon wieder abreise.
Leider, muss man sagen, denn ich würde eigentlich gerne noch länger in Tokyo bleiben. Die Stadt ist wirklich toll und man verliebt sich ganz schnell in den neuen Lebensstil hier. Die Stadt ist riesig aber irgendwie bekommt man davon gar nicht so viel mit. Man lebt so in seiner kleinen Ecke der Stadt und hat dort eine ganz eigene Idylle. Nicht weit weg von meinem Haus ist zum Beispiel ein schöner Spielplatz, mit einer Rasenfläche und vielen Blumen. Wenn man dort sitzt, ist es, als wäre man in einer Kleinstadt. Kinder spielen, Menschen gehen mit ihren Hunden Gassi, man sieht Fahrradfahrer und die Blumen duften ganz wunderbar! Wenn man Action möchte, kann man sich in die etwas belebteren Stadtteile begeben, denn dort gibt es eigentlich alles zu erleben, das man sich vorstellen kann. Was mir an Tokyo besonders gut gefällt ist, dass es eine nicht allzu anonyme Stadt ist. Die Menschen sind unglaublich nett und zuvorkommend. Man fühlt sich nicht so klein und unbedeutend, denn man trifft ständig neue Leute, die dann auch gerne etwas mit einem unternehmen. Die Menschen hier sind weniger oberflächlich, als an anderen Orten und wenn man sich nett mit jemandem unterhält und sagt, dass man sich noch einmal treffen möchte, dann kommt das meistens auch zu Stande, weil es tatsächlich so gemeint ist. Sich hier in eine Gruppe zu integrieren ist gar nicht schwer, da die Leute einfach super offen und freundlich sind! Ich habe hier in kurzer Zeit so viele nette und interessante Leute getroffen, dass ich mir eigentlich vorstellen könnte länger hier zu bleiben. Ich finde, dass es sehr darauf ankommt was man so für Menschen trifft. Denn wenn man alleine ist, egal an welchem Ort, dann ist es nicht so schön, wie mit Freunden. In Gesellschaft macht alles gleich viel mehr Spaß, finde ich.
Toll hier ist auch, dass immer etwas los ist. Trotzdem hat man nicht das Gefühl irgendetwas zu verpassen. Die Stadt ist einfach wahnsinnig angenehm und auch überhaupt nicht so voll und so teuer, wie es immer heißt. Ich finde man kann hier sehr gut leben (wenn man einen Job hat :D) und für eine so große Stadt ist Tokyo sehr ruhig irgendwie.
Ich muss sagen, dass mir ein Monat irgendwie viel zu kurz ist, um hier zu sein und dass ich auf jeden Fall noch einmal hierher kommen möchte. Auch gerne wieder für länger. Tokyo zeigt mir, dass Japan in der Tat mein Traumland ist und dass es sich lohnt immer wieder her zu kommen, weil man so viele tolle Dinge erlebt und auch unglaublich viel lernt, über sich selbst, über das Leben an sich und über verschiedene Länder und Kulturen. Jemand hat mal zu mir gesagt, dass Japan sein spirituelles Zuhause sei. Das fand ich in dem Moment irgendwie albern und etwas übertrieben aber mittlerweile weiß ich glaube ich, was diese Person damit gemeint hat. Irgendetwas hier ist anders, irgendetwas liegt hier in der Luft und ich bin sicher, dass alle, die immer wieder hierher zurückkehren genauso denken. Beschreiben kann das aber niemand so wirklich. Irgendwann werde ich vielleicht in der Lage sein dieses besondere Gefühl hier in Worte zu fassen, solange kann ich einfach nur sagen, dass es wundervoll hier ist und dass vor allem Tokyo mich als Stadt absolut begeistert hat. Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass Tokyo mir zu groß ist. Zu viele Menschen, zu wenig Anschluss, immer das Gefühl irgendetwas zu verpassen, weil einfach zu viel los ist. Zu laut, zu überfüllt, zu hektisch. Aber so ist es nicht. Überhaupt nicht. Hier, wo ich wohne ist es sogar ruhiger als dort, wo ich in Fukuoka gelebt habe – kaum vorstellbar oder? Und ich lebe eigentlich ziemlich zentral, nicht außerhalb der Stadt oder so.
Ich meine, natürlich ist Tokyo teuer, aber nicht viel teurer, als der Rest Japans. Das ganze Land ist teuer, im Vergleich zu Deutschland. Hier kostet eben alles etwas mehr und auch die Unterkunft ist nicht gerade günstig. Aber wenn das ein Traum ist, den man hat, sollte man eine Möglichkeit suchen hierher zu kommen. Es lohnt sich definitiv. Um Tokyo sollte man keinen Bogen machen, nur weile es so riesig erscheint. Es ist auch keinesfalls mainstream. Ganz im Gegenteil. Ich habe hier Dinge gesehen und erlebt, die ich sonst nirgendwo auf der Welt gesehen habe.
Trotzdem bin ich froh zuerst nach Fukuoka gegangen zu sein. Es war gut erst einmal eine kleinere Stadt zu erleben, um dann festzustellen, dass man auch bereit für größeres ist. Tokyo ist mit Fukuoka kaum zu vergleichen. Hier gibt es viel mehr Ausländer, zum Beispiel. Das ist aber keinesfalls negativ, das macht es eher interessant und es bedeutet auch nicht, dass Japaner hier weniger an einem interessiert sind. Eher sind sie die Ausländer gewöhnt und wissen gut mit ihnen umzugehen. Auf Toleranz stößt man in Japan aber Gott sei Dank überall, zumindest habe ich bisher nichts anderes erlebt. Trotzdem, die Tatsache, dass hier mehr Leute sind macht Tokyo natürlich irgendwie interessanter, weil man ganz viele und verschiedene Leute kennenlernt.
Natürlich möchte ich unbedingt noch einmal zurück nach Fukuoka, um dort alle zu besuchen. Aber Tokyo ist wohl meine neue Traumstadt. Hier mal ein Jahr zu verbringen wäre absolut genial!
Kategorie: Allgemein, Julies Reiseblog